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Wegweiser
zu meinem Ziel

Wie schön wäre es, wenn ein Verkehrsschild mir genau das sagt, was ich persönlich gerade wissen will, und sich nicht nach einem möglichst allgemein verständlichen und logischen System ausrichtet. So habe ich die Kinder in der Kunst-AG gefragt, ob es ihnen auch manchmal so ergeht, dass sie an einer Stelle den Weg nicht wissen und dort gern einen ganz persönlichen Wegweiser hätten. Oder ob sie anderen einen wichtigen Weg mit einem Schild weisen möchten. Die Wege zu Oma und Opa, zu Freunden und zum eigenen Haus zeigten sich hier besonders wichtig und beschilderungsbedürftig. Im Straßenverkehr trifft man hin und wieder auf Zettel, die an eine Ampel geklebt sind und die Richtung zeigen: „Zu Anke und Uli". So etwas geht schon „in die richtige Richtung", aber diese Zettel sind uns zu unauffällig und zu spät zu erkennen. Wir wollen „richtige" Straßenschilder machen, die man schon von weitem sieht und lesen kann und die sofort durch ihre standardisierte Form als Wegweiser zu erkennen sind. Also orientieren wir uns an den offiziellen Straßenschildern mit der Absicht, ihnen unsere inoffiziellen unterzumogeln und gleichberechtigt zur Seite zu stellen. Vielleicht regen wir durch diese Ungewöhnlichkeit auch andere Leute zum Nachdenken über die „Natur" oder vielmehr Systematik der üblichen Wegweiser an.

Diese erforschen wir nun gründlich, nehmen die Schilder in der Umgebung der Schule unter die Lupe und das Maßband. Dabei merken wir erst, wie groß diese Schilder sind und sein müssen, um erkennbar zu sein. Dass sie eine schwarze Rahmenlinie haben. Dass sie mit genormten Buchstaben beschriftet sind. Dass weiße Schilder Ziele innerhalb des Ortes angeben, gelbe solche außerhalb und blaue auf Autobahnen hinweisen. Entsprechend den gewünschten Zielen der Kinder dieser Gruppe kommen für sie weiße oder gelbe Schilder in Betracht. Mit mitgebrachten farbigen Papierstückchen (Kleckse verschiedener aus Wasserfarben gemischter Gelbtöne) wird das Straßenschild-Gelborange dingfest und nachmischbar gemacht. Fotos der Schilder sichern die Forschungsergebnisse. Sie ermöglichen auch einen Abgleich der Buchstaben mit den vielen Computerschriftarten, die sich oft nur minimal unterscheiden.

In unserem Unterricht erreichten wir die täuschend echte Nachahmung der Wegweiser nicht ganz. Dies lag am gewählten Material und an dem begrenzten Detailbedürfnis der Schüler. Das Umgestalten echter Schilder wäre schön gewesen, dann wären die Probleme Material, Größe und Wetterfestigkeit gut gelöst; eine Quelle für ausgemusterte Schilder fand ich jedoch bisher nicht. Darum verlegten wir uns auf Pappe. Diese ist jedoch meist entweder zu klein oder zu dick; daher verringerten wir die Größe der Schilder. Die Pappe wurde mit vorbildgetreu gemischter Abtönfarbe mit Farbroller grundiert, dann umrandet und beschriftet, wobei den Kindern die Vorbildtreue der Buchstaben nur so weit wichtig war, dass es sich um Druckschrift handelt. Um Lichtreflexion und eine gewisse Wetterfestigkeit zu erreichen, haben wir die Pappschilder mit transparenter Klebefolie überzogen. (Da sich die Reflexion im Nachhinein als zu stark erwies, wäre Klarlack evtl. geeigneter.) Mit Draht wurden die Schilder an der gewünschten Stelle - an einem vorhandenen Wegweiser, an einer Straßenlaterne, einem Zaun etc. - befestigt.

Das Unterrichtsvorhaben lenkt den Blick auf Details und verlangt genaues Hinschauen auf die sonst eher übersehene Straßenmöblierung. Verkehrshinweisschilder sind für Kinder zwar noch nicht so wichtig, denn ihre Wege werden meist von Erwachsenen bestimmt und geleitet. Aber auch sie sind schon oft allein unterwegs und werden es in Zukunft immer öfter sein, so dass es berechtigt erscheint, ihren Blick auf die Wegweiser zu lenken. Sich verlaufen, die Orientierung verlieren, einen Weg nicht wissen und sich einen Hinweis wünschen - das sind sicher Situationen, die jeder erlebt, ob Kind oder Erwachsener.

Die Idee hierzu war sicher unterschwellig angeregt durch eine Installation der Künstler Maik und Dirk Löbbert: Am Wasserturm, der zur Kunsthalle Lingen gehört, sind außen an der oberen Etage ca. zehn Wegweiser angebracht, die vom Wasserturm aus in alle Himmelsrichtungen mit der Aufschrift „Kunsthalle" weisen. In einem Text zu den Arbeiten der Künstler fand ich dann auch Gedanken und Absichten, die unserem Unterrichtsvorhaben sehr verwandt sind.
(Link)

Auf meinen häufigen Fahrten zur Nordsee komme ich direkt an der Kunsthalle Lingen vorbei, die ich bei dieser Gelegenheit gern besuche. Auf dem Streckenabschnitt, der durch Lingen führt, ist es durch viele Kreisverkehre und nicht vorhandene Autobahn-Ausschilderung nicht so leicht, den zum persönlichen Ziel führenden Reiseweg zu finden. Als ich letztes Mal vom Parkplatz der Kunsthalle zur Fortsetzung der Reise auf die Straße abbiegen wollte, überlegte ich wieder einmal: „Wo geht´s jetzt nochmal lang, links oder rechts?", und dachte: „Hier müssten eigentlich zwei Schilder stehen, eins zeigt nach links, darauf steht „Zur Nordsee", und eins zeigt nach rechts, darauf steht „Nach Hause". Die Idee gefiel mir und machte mir eine häufige Erfahrung wieder einmal bewusst: wie wenig die offizielle Straßenbeschilderung auf die persönlichen Bedürfnisse ausgerichtet ist. Will ich zur Nordsee, muss ich zur Autobahn Richtung Emden und dies muss ich wiederum in den Wegweiser „Meppen" hineininterpretieren. Auch in heimischer Gegend kennt man solche Denk-Umwege: Will man von der Autobahn aus nach Lünen-Gahmen, darf man an der Abfahrt nicht Richtung Lünen fahren, sondern muss erstaunlicherweise Richtung Dortmund. Wie oft weiß man genau, wo man hin will, aber nicht, welches Codewort der entsprechende Wegweiser tragen muss! Wie etwa meine Freundin mal verzweifelt sagte: „Ich wusste ja, dass ich über Rheine, Meppen, Lingen fahren muss - aber in welcher Reihenfolge??"