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Bilder vor Wirklichkeit -

Hässliche Anblicke mit Bildern verändern

An das düstere, trostlose, gleichförmige Hochhaus in Bergkamen-„City" hat der Künstler HA Schult kleine, bunte, lebendige, wie von Kinderhand gemalte Häuschen-Bilder montiert. Sie machen einerseits aus dem Schandfleck einen Blickfang, andererseits aber auch die Trostlosigkeit und Menschenfeindlichkeit des Hochhauses besonders deutlich und bewusst.


Farbe, Individualität, Lebensqualität und Lebensfreude der kleinen Häuschen stellen erst so recht die Einförmigkeit der vielen Hochhauswohnungen heraus, machen sichtbar, dass deren Bewohner als arme, zusammengepferchte Massen behandelt werden, statt sich in einem eigenen kleinen Häuschen entfalten zu können.

Wenn denn überhaupt noch Menschen in dem Hochhaus wohnen würden. Was aber gar nicht der Fall ist: Das Hochhaus steht seit Jahren leer. In der Bevölkerung ist es als Schauplatz von Selbstmorden und Fensterstürzen bekannt, wie mir die Schüler verschiedener Grundschulen in der Region berichteten.

Nun hat HA Schult auf Initiative der Stadt Bergkamen das Haus „verbuntet". Er gibt laut Interviews keine tieferen Absichten an, als Farbe ins Bild zu bringen und das öde Hochhaus mit der ruhrgebietstypischen Schrebergartenidylle freundlich zu illustrieren. Schade. Ich meine, die Wirkung des Werks geht - wenn man bereit ist, sich mit ihm auseinanderzusetzen - über diese eher oberflächlichen Absichten hinaus.

Jedoch habe ich festgestellt, dass die oberflächlicheren Aspekte auch die sind, die den Grundschulkindern (4. Schuljahr) in Bergkamen und im benachbarten Kamen an dieser Installation auf- und die ihnen dazu einfallen. Ich wollte feststellen, ob die Kinder vielleicht auch den Gedanken hätten, dass ihnen als Bewohner des Hochhauses die Installation der bunten Häuschen deshalb unangenehm wäre, weil sie erst so richtig zeigt, wie hässlich das Hochhaus ist und wie bedauernswert die Menschen sind, die darin wohnen. Dieser Gedanke wurde von ihnen jedoch nicht geäußert, er lag offenbar nicht in ihrer Denkweise, sondern entspricht wohl eher einer anderen Altersstufe.


Die Kinder äußerten, dass das Hochhaus durch die Installation bunter geworden war und es nun für manche schöner, für manche scheußlicher oder ebenso scheußlich wie früher aussah. Dass es auf jeden Fall auffälliger geworden war. Das ist doch schon eine wichtige Erkenntnis. Das Auffallen empfanden die Kinder nicht unbedingt als positiv. Ein Junge meinte: „Mir würde das nicht gefallen, denn jetzt ist das Haus ein Hingucker, und ich möchte nicht in einem Hingucker wohnen."


Da die Kinder in der Installation also hauptsächlich ein Hinzufügen von Farbe und Auffälligkeit sahen, wurde dies auch in der Aufgabenstellung zur Umsetzung des Hochhaus-Kunstwerks in eine eigene Arbeit dementsprechend der Hauptaspekt: Öde und Tristesse in einen zumindest interessanteren Blickfang zu verwandeln.

Ich suchte nach einer Hässlichkeit im Umfeld der Kinder, die interessanter, schöner und zur Auffälligkeit gemacht werden könnte. Alle Klassen der Diesterwegschule in Kamen haben Ausblick auf einen großen Parkplatz. Nicht unbedingt scheußlich, aber auch nicht gerade schön und interessant. Hieraus entstand die Aufgabe, diesen Parkplatz - oder vielmehr den Blick darauf - zu verändern: durch Objekte, die thematisch zum Parkplatz passen, ihn aber für die Kinder interessanter und schöner machen.

Wichtig war beim Montieren der gezeichneten und ausgeschnittenen Papierobjekte auf der Fensterscheibe, wie sie in den Parkplatzblick eingebracht wurden. Beides sollte zusammenwirken und ein neues Bild aus beiden Ebenen ergeben. Dass diese neue Wahrnehmung gelang, machte die Überlegung des Jungen klar, der den militanten Wachmann geschaffen hatte: Als ich diesen fotografierte, gingen gerade Leute über den Parkplatz. Das sei nicht gut, wenn diese Leute mit auf das Foto kämen, meinte der Junge, denn sie sähen so nett aus und gar nicht gefährlich, und da wäre es nicht richtig, dass der Wachmann sie bedrohe. Diese Bemerkung hat mich sehr gefreut.

Durch die Bewegung der Betrachter in der Klasse und durch unterschiedliche Körpergrößen ist die Position der Objekte im Parkplatzbild nicht immer gleich. Beim Fotografieren kann man den Blickwinkel fixieren, den man gerne hätte.

So entstanden nicht nur fantasievolle, wilde, bunte Autos und Busse, sondern auch weitere „Möblierung" mit einer Süßigkeitenbude, einer Ampelanlage, einem mit Blumen begrünten Kreisverkehr und einer Parkplatzbewachung. Auch ein Panzer auf dem Parkplatz wurde zugelassen, solange er eine Ausnahme und ein kunsttypischer Irritations-Blickfang blieb.