Im Klassenraum hatte ich eine kleine Ausstellung mit Bildern von Caspar David Friedrich vorbereitet. (Die Bilder stammten aus dem Kalender zur Ausstellung im Museum Folkwang Essen 2006.)

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Caspar David Friedrich

Die Kinder fanden leicht Zugang zu den Bildern. Sie waren beeindruckt von der Wirklichkeitstreue („Sind das Fotos oder ist das gemalt?“) und begannen gleich, die Bilder zu deuten und mehrere in einen zeitlichen und logischen Zusammenhang zu bringen. Es fiel ihnen auf, dass häufig die gleichen Personen auf den Bildern vorkommen.

Besonderes Interesse erweckte das Bild „Blick aus dem Fenster“, denn es reizte die Kinder eine umgebende Handlung und das, was außerhalb des sichtbaren Bildausschnitts sein könnte, hinzu zu fantasieren: Genießt die Frau die beruhigende Aussicht? Schaut sie nach dem Wetter? Wartet sie auf ihren Mann? Oder plaudert sie mit der Nachbarin? Hieraus ergab sich die handelnde Auseinandersetzung mit dem Bild: Die Kinder spielten in Gruppen verschiedene denkbare Handlungssituationen vor.

Zum Bild „Wanderer über dem Nebelmeer“ bemerkte eine Schülerin: „Man hat das Gefühl, dass man selbst da steht, wo der Mann steht.“ Diese Bemerkung griff ich auf, um die Kinder auf das Gestaltungsmittel aufmerksam werden zu lassen, mit dem der Künstler diese Wirkung erreicht: Von welcher Seite sieht man die Personen auf den Bildern meistens? Und wo befinden sie sich im Bild?

Eine Person, die sich zentral im Bild – oder fast vor dem Bild, vor dem Blick – befindet, mit dem Rücken zum Betrachter, so dass der Betrachter den gleichen Blick hat, in der gleichen Situation ist die die abgebildete Person.

Solche Situationen im Alltag aufzuspüren und Bilder davon zu machen, war dann die Aufgabe für die Kinder.

Hierzu fanden sie sofort zahlreiche Beispiele: in der Schule, wenn man hinter jemandem sitzt; im Kino; zu Hause, wenn Mutter oder Vater am Herd steht; in der Stadt, wenn jemand vor einem hergeht…

Jedes Kind bekam für einen Tag einen Fotoapparat (in diesem Fall meine alter, aber gute Sucherkamera) mit nach Hause, um bis zum nächsten Tag bis zu vier verschiedene Bilder damit zu machen. Hin und wieder wurde noch einmal an das Bildthema erinnert, und die Kinder berichteten von den Situationen, die sie eingefangen, oder den Gestaltungsideen, die sie realisiert hatten. Diese Zwischenreflexionen sollten dazu dienen, einerseits die Aufgabe im Blick zu behalten und andererseits dazu anzuregen, die bereits gefundenen Bilder nicht zu wiederholen, sondern sich weitere auszudenken bzw. sie aufzuspüren.

Ich war hingerissen von der Vielfalt der entstandenen Bilder, von den Einblicken, die sie in das Leben der Kinder und der ihnen nahe stehenden Personen gaben. Sehr gefreut habe ich mich darüber, wie ernsthaft und engagiert sich die Kinder um ihre Bilder bemüht haben und wie sie ihre Familien als Mitwirkende und Unterstützung mit ins Boot geholt hatten.

Die Aufgabe:

Gestalte ein Foto mit ähnlichen Mitteln, wie Caspar David Friedrich seine Bilder gestaltet hat:

    - Eine Person, von hinten gesehen, ist in der Mitte des Bildes.

    - Der Betrachter hat den gleichen Ausblick wie die fotografierte Person.

    - Das Bild ist interessant (z. B. nachdenklich, ungewöhnlich, spannend, witzig, einfallsreich) und man kann sich gut in die abgebildete Person hineinfühlen. (Dieser Aspekt war besonders bei der Auswahl des persönlichen besten Bildes wichtig.)

Zunächst ließ ich nur Abzüge in kleinem Format machen. Jedes Kind suchte dann im Abgleich mit der Aufgabenstellung aus seinen vier Bildern das seiner Meinung nach beste aus. Die Auswahl wurde der Klasse mit Begründung vorgestellt und ggf. diskutiert. Die ausgewählten Fotos ließen wir anschließend auf DIN-A4-Format vergrößern.

Natürlich gab es deutliche Qualitätsunterschiede in der Umsetzung der Aufgabe, die von formaler Minimalerfüllung „Mensch von hinten“…

…über die frappierende Umsetzung des romantischen Aspekts „Mensch blickt in die Natur“ in den nur scheinbar banalen Alltag: „Kind guckt durch die Fensterfelder der Haustür nach draußen“…

…bis zur eigenständigen Weiterführung der Aufgabe reicht: „Wir blicken dem Menschen, den wir von hinten sehen, im Spiegel gleichzeitig ins Gesicht, sind Beobachter eines Menschen, der sich selbst befragt“, oder: „Welchen Blick hat eine eigentlich blick-, weil leblose Statue?“.

In der abschließenden Ausstellung auf dem Schulflur wurden die Fotos der Kinder beispielhaften Gemälden Caspar David Friedrichs gegenübergestellt.

Eine der Schülerarbeiten könnte Anlass dazu sein, dass wir uns bald mit den Bildern von Jan Vermeer beschäftigen…


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